- Sinfonie, Sonate, Streichquartett: Zur Entstehung neuer Gattungen
- Sinfonie, Sonate, Streichquartett: Zur Entstehung neuer GattungenAuf allen Gebieten der Musik veränderten sich um 1750 Formen und Inhalte, soziale Voraussetzungen und ästhetische Wertungen. Wirklich neue Gattungen entstanden aber nur in der Instrumentalmusik. Im vokalen Bereich verdanken zwar Opera buffa, Opéra-comique und deutsches Singspiel ihre durchschlagende Wirkung der Frontstellung gegen die ernste Opera seria und die Tragédie lyrique. Als eigenständige Spielarten bleiben sie dennoch Ausprägungen der Gesamtgattung Oper. Zudem reichen ihre Wurzeln und Vorformen zurück bis in die Anfänge musikalischen Theaters überhaupt. Die instrumentalen Kompositionen um 1750 hingegen lassen sich weit weniger in bereits Bekanntes einbinden. In kurzer Zeit formen sie sich zu relativ verbindlichen Gattungen, die in der Wiener Klassik zur höchsten Entfaltung gelangten und noch im gegenwärtigen Konzertleben als beispielgebend gelten. Was hier geschieht, könnte man musikgeschichtlich die Entdeckung des spezifischen Sprachcharakters der Instrumentalmusik nennen.Zur Ausbildung dieser neuen instrumentalen Sprache hat die Opera buffa durch ihre kontrastreiche, spontane musikalische Gestik wesentlich beigetragen. Und die repräsentativste der neuen Gattungen, die Sinfonie, ist sogar unmittelbar dem Boden der Oper entwachsen. »Sinfonia« heißt das instrumentale Eingangsstück (Ouvertüre) der neapolitanischen Opera seria. Inhaltlich und thematisch war diese Sinfonia mit der darauf folgenden Oper allerdings nicht verbunden und konnte sich von daher als Instrumentalstück auch verselbstständigen. Ihr ursprünglicher Zweck war lediglich, das Publikum auf den Beginn der Oper vorzubereiten.Die Wandlung der Sinfonia zu einem selbstständigen Orchesterwerk war ein nahe liegender Schritt und zugleich ein bedeutsames und vorantreibendes Moment im Stilwandel der Zeit. Einzelne Beispiele gab es schon im Spätbarock, etwa bei Antonio Vivaldi. Doch war Giovanni Battista Sammartini im eigentlichen Sinne der erste und in Italien auch der führende Komponist von Konzertsinfonien. Er schrieb ab etwa 1730 über 80 Werke dieser Gattung. Sie sind meist dreisätzig, anfangs nur für Streicher, später zusätzlich mit Hörnern und auch mit Oboen besetzt. Der erste Satz steht in der Sonatenhauptsatzform mit kurzer Durchführung und oft schon vollständiger Reprise, ein Formprinzip, das oft in Kopfsätzen von Klaviersonaten vorkommt und daher seinen Namen erhielt. Nach dem kantablen zweiten Satz folgt als Finale meist ein Menuett. Die Satztechnik ist sorgfältiger als in der Opernsinfonia, die Sätze werden länger, kontrastreicher im Detail und entschiedener in der orchestralen Klanggebung.In Wien und Mannheim als den Zentren des neuen Sinfonieschaffens wurden Sammartinis Anregungen aufgegriffen und weitergetragen. In Wien schrieb Georg Matthias Monn bereits 1740 eine viersätzige Sinfonie mit Menuett, der bedeutendste Sinfoniker der Wiener Vorklassik war aber Georg Christoph Wagenseil der bedeutendste Sinfoniker der Wiener Vorklassik. Seine Sinfonien sind drei-, gelegentlich viersätzig mit prägnanter Motivik und klarer Disposition der Teile. Im ersten Satz ist die Sonatenhauptsatzform weitgehend ausgebildet. Entstanden sind die meisten Sinfonien Wagenseils zwischen 1755 und 1765, zur gleichen Zeit wie die frühen Instrumentalwerke Franz Joseph Haydns, der Wagenseil gerade auf diesem Gebiet entscheidende Impulse verdankt.Auch das Aufsehen, das die Mannheimer Komponisten in Europa erregten, beruhte in erster Linie auf der neuartigen Klangsprache ihrer Sinfonien. Kennzeichnend für die Mannheimer Sinfonik ist ein farbiger, rhythmisch lebendiger Orchestersatz mit häufigen Kontrasten, zum Beispiel zwischen kurzen thematischen Abschnitten und effektvollen Steigerungspassagen. In den viersätzigen Zyklus ist das Menuett fest eingefügt. Der Kopfsatz enthält ein ausgeprägtes zweites Thema, das oft von solistischen Bläsern vorgetragen wird. Große Crescendowirkungen, ansteigende tremolierte Skalen (»Walzen«), Dreiklangsbrechungen (»Raketen«) und Vorhaltsbildungen (»Seufzer«) galten schon den Zeitgenossen als »Mannheimer Manieren«, die sich noch in Mozarts Werken wieder finden. Im Vergleich dazu pflegte die Norddeutsche Schule einen eher konservativen Sinfoniestil, der die Dreisätzigkeit der italienischen Frühformen beibehielt. Davon abzuheben sind jedoch die Sinfonien Carl Philipp Emanuel Bachs, die in ihrer satztechnischen Vertiefung, instrumentalen Durchbildung und plastischen Kontrastsprache für die Wiener Klassik bis hin zu Beethoven als Anregung und Vorbild dienten.Etwa gleichrangig neben der Sinfonie steht das Solokonzert, das um 1700 aus dem Concerto grosso hervorgegangen ist und bereits um 1750 eine fest etablierte Gattung bildet. Gerade im Solokonzert fanden die Neuerungen des galanten und empfindsamen Stils ein aufnahmebereites Feld, da der solistische Vortrag der Forderung nach einer ausdrucksvollen, »die Herzen bewegenden« Melodiegestaltung über sparsamer Begleitung besonders entgegenkam. Auch die Veränderungen im öffentlichen Musikleben waren für die Verbreitung einer Gattung günstig, die den bewunderten Virtuosen in den Vordergrund stellte und ihn über die übrigen Spieler im begleitenden Orchester erhob.Ausgesprochen neu dagegen und charakteristisch mit dem Stilwandel um 1750 verknüpft ist die Sonate. Der Begriff ist zwar älter und bezeichnete im späten 16. und 17. Jahrhundert ganz verschiedene Arten von Kompositionen, darunter die »Sonata da chiesa« (Kirchensonate) und die suitenartige »Sonata da camera« für Solo- oder Ensemblebesetzungen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird das Wort »Sonate« jedoch zum Synonym für die neue Gattung Klaviersonate. Ihre rasch wachsende Bedeutung hängt mit der Ablösung des Cembalos und des Klavichords durch das Hammerklavier zusammen, das mit seiner abgestuften Dynamik - daher der Name »Piano-forte« - zum repräsentativen Instrument der neuen bürgerlichen Kultur aufstieg. Die Sonate ist häufig dreisätzig mit schnellen Ecksätzen, die einen langsamen Satz umrahmen. Doch gibt es auch viele Beispiele anderer Satzzusammenstellungen. Die formale Anlage ihres ersten Satzes, die man »Sonatenhauptsatzform« nennt, wirkte musterbildend auf alle anderen Instrumentalgattungen und entwickelte sich in der Wiener Klassik zu einem zentralen Gestaltungsmittel. Sie ist aber nicht nur ein neues Strukturmodell, sondern verkörpert ein gewandeltes, dynamisches Formprinzip, das seiner inneren Bewegung nach wesentlich aus dem veränderten klanglichen und harmonischen Ausdruckswillen der Zeit hervorgeht.In allen damaligen Musikzentren spielte die Komposition von Klaviersonaten eine große Rolle. In Italien findet sich bereits vor der Jahrhundertmitte der neue geringstimmig homophone, galante Klavierstil mit virtuosem Einschlag, zum Beispiel bei Baldassare Galuppi und Domenico Alberti. In Wien war Wagenseil auch in der Klaviermusik der bedeutendste Komponist vor Haydns Zeit. Von ihm stammen über 80 teils divertomentohafte Sonaten, häufig mit Menuett als Mittel-oder Schlusssatz. Die herausragenden Musiker in Norddeutschland waren die beiden ältesten Bach-Söhne, Wilhelm Friedemann und vor allem Carl Philipp Emanuel Bach, einer der genialsten Klavierkomponisten seiner Zeit. Neben anderen Klavierwerken (Fantasien, Variationen, Rondos) hat er mehrere Sammlungen von dreisätzig zyklischen Sonaten veröffentlicht. Der erste Satz zeigt in vielen Fällen eine differenziert durchgebildete Sonatenhauptsatzform mit ausgeprägter Polarität zweier Themen und der Verarbeitung ihrer Motive. Der letzte Satz ist häufig ein Rondo.Auch die Klaviersonaten von Johann. Christian Bach in London bilden einen bemerkenswerten Beitrag zum zeitgenössischen Repertoire. Mozart hat einige von ihnen als Klavierkonzerte bearbeitet. In Paris wirkte Johann Schobert als einer der ersten Komponisten, die sich wesentlich auf ein Instrument spezialisierten. Seine melodisch wie harmonisch weiträumigen Klavierwerke wurden allerdings mit zusätzlichen Instrumentalstimmen veröffentlicht, sodass sie ebenso in den Bereich der Kammermusik gehören. Noch für Cembalo geschrieben sind die Sonaten des größten italienischen Klavierkomponisten des frühen 18. Jahrhunderts, des in Portugal und Spanien lebenden Domenico Scarlatti. Sie sind zumeist einsätzig, also noch nicht zyklisch angelegt. Als höchst reizvolle, kontrastreiche Klavierminiaturen mit einer ganz aus dem Instrument entwickelten expressiven Thematik und hohem klaviertechnischen Raffinement haben sie dem Stilwandel um 1750 bedeutsame Impulse vermittelt beziehungsweise diesen Stilwandel schon seit den 30er-Jahren wesentlich mitgeprägt.Die zunehmende Bedeutung des Klaviers wirkte sich auch auf die Kammermusik aus. Zur neuen Klaviersonate traten nicht selten begleitende Melodieinstrumente hinzu, die immer selbstständiger geführt zunehmend als Partner in einem kammermusikalischen Ganzen fungierten. Andere Form- und Besetzungstraditionen flossen mit ein und förderten diesen Prozess, darunter die barocke Sonate für ein oder mehrere Soloinstrumente mit Generalbass sowie die Sonate für Soloinstrument und obligates Cembalo. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich daraus relativ feste Gattungsbildungen: die Sonate für Klavier und ein Soloninstrument (vor allem Violine), das Klaviertrio sowie - seltener - das Klavierquartett und -quintett mit Streichern oder mit Bläsern.Voraussetzung hierfür war ein neues Verständnis von Kammermusik. Im Barock bezog sich der Begriff »Kammermusik« nicht primär auf die musikalische Gattung, sondern auf den Raum, in dem Musik erklang. Dies schloss Vokal- und Instrumentalmusik unterschiedlichster Art ein, sofern sie für die fürstliche »Kammer« und nicht für die Kirche oder fürs Theater bestimmt war. Nach 1750 verlor sich diese Begriffsbedeutung. Im Gegensatz zum öffentlichen Konzert bezeichnete man nun mit Kammermusik Aufführungen vor einem kleinen Kreise von »Kennern und Liebhabern«. Daraus ergaben sich für den Komponisten höhere Anforderungen an die satztechnische Qualität, die Ausformung im Detail, die Sorgfalt der Stimmführung und die Kunst der motivischen Verarbeitung. Durch Kriterien solcher Art wird Kammermusik seitdem von Orchestermusik prinzipiell unterschieden.Einen besonderen kompositorischen Rang und geradezu exemplarische Geltung innerhalb der Kammermusik erlangte das Streichquartett, und zwar vor allem durch das Schaffen Joseph Haydns. Die Vor- und Frühgeschichte der Gattung, die Haydns erste Werke noch einschließt, zeigt ein buntes Bild sich überschneidender Formtypen im stilistischen Wandel. In Italien gibt es schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vierstimmige Streicherkompositionen, zum Beispiel die »Sinfonia a quattro« oder »Concerto a quattro«, die entweder orchestral oder solistisch aufgeführt werden konnten. Sie lösten sich ab etwa 1740 zunehmend vom stützenden Fundament des Generalbasses und wurden rhythmisch und klanglich freier und beweglicher. In Luigi Boccherinis »6 sinfonie o sia quartetti« opus 1 ist diese Lösung deutlich vollzogen. Demgegenüber hat die traditioneller eingestellte Norddeutsche Schule noch weit nach 1750 an der Quartettsonate mit Basso continuo festgehalten. Die Quartettsonate führte zwar nicht unmittelbar zum Streichquartett hin. Sie war aber wegen ihrer konservativ polyphonen Anlage für die spezifisch kammermusikalische Kompositionshaltung der Folgezeit nicht ohne Bedeutung.Drucke von Werken der Mannheimer Schule enthalten ebenfalls in vielen Fällen noch einen bezifferten Basso continuo, der sich jedoch zumeist als entbehrlich erweist. Die Mannheimer Quartettsinfonien, die wahlweise orchestral oder solistisch auszuführen sind, zeigen bei Johann Stamitz, Franz Xaver Richter, Ignaz Holzbauer und Christian Cannabich eindeutig kammermusikalische Prägung.Wichtige Beiträge zur Frühgeschichte des Streichquartetts kamen daneben aus dem süddeutsch-österreichisch-böhmischen Raum. Bei Franz Aspelmayr, Florian Gaßmann, Jan Vaňhal und den Komponisten der Wiener Schule spielt das vierstimmige Streicherdivertimento in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Es ist ein suiten- oder sonatenähnliches Instrumentalstück mit volkstümlicher Thematik und locker aneinander gereihten Sätzen unterschiedlicher Anzahl. Noch Haydns frühe, fünfsätzige Streichquartette gehören diesem österreichischen Typus des Quartettdivertimentos an und wurden von Haydn selbst als »Divertimento« bezeichnet. Später hat man sie unter dem Aspekt personaler Werkkontinuität unter seine übrigen Streichquartette eingereiht, nicht zuletzt, weil gerade diese Gattung das nun anbrechende »Klassische« in der Musik in besonderer Weise repräsentiert.Prof. Dr. Peter SchnausDahlhaus, Carl: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988.Geschichte der Musik, herausgegeben von Michael Raeburn und Alan Kendall. Band 1: Von den Anfängen bis zur Wiener Klassik. München u. a. 1993.Die Musik des 18. Jahrhunderts, herausgegeben von Carl Dahlhaus. Sonderausgabe Laaber 1996.
Universal-Lexikon. 2012.